80. Geburtstag 1994
Nürnberger Nachrichten, Südwest-Anzeiger vom 14.12.1994
"In der "Sperberei" finden Problemkinder Zuflucht
Hauptschule in der Südstadt wurde 80 Jahre alt
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Steinrelief im Schulhof |
Mit 80 Jahren ist man noch lange kein altes Haus. Das beweist die Volksschule Sperberstraße, von Lehrern, Schülern und Ehemaligen liebevoll "Sperberei" genannt, die auch zu Beginn des neunten Jahrzehnts ihres Bestehens voller Vitalität steckt.
Der Bombenhagel im Zweiten Weltkrieg, bei dem die Schule fast völlig zerstört wurde, ist längst vergessen; Falten und Risse wurden bei der Totalrenovierung 1981 geglättet; und mit der drei Millionen Mark teuren Turnhalle hat vor sieben Jahren die Moderne Einzug gehalten. Altersbedingte Eigenheiten werden beklagt, wie das Fehlen einer richtigen Aula, oder seufzend hingenommen, wie die Weitläufigkeit des Gebäudes, für das man "manchmal Rollschuhe bräuchte", wie Irmgard Odörfer, Rektorin der Hauptschule, sagt.
Hinter der Jugendstilfassade von einst tobt mit 802 Schülern das Leben von heute. Grund- und Hauptschule sind jeweils dreizügig angelegt, in der achten Jahrgangsstufe gibt es noch eine der letzten muttersprachlichen Klassen mit türkischen Schülern und Lehrern, die Ende der 70er Jahre eingerichtet wurden. Auch diese Kinder sollen allmählich in "normale" deutschsprachige Klassen integriert werden, um die "Ghettosituation" abzuschaffen, so Konrektor Heinz Grünewald. Islamischer Religionsunterricht und Türkisch statt Englisch als zweite Fremdsprache werden sowieso ab der vierten Jahrgangsstufe angeboten.
Durch den Ausländeranteil von über 50 Prozent an der Hauptschule und Kinder, die oft aus sozial schwierigen Familien kommen, bleiben auch die Probleme der Gegenwart nicht vor der Tür: Cliquenfehden von außen werden hereingetragen, persönliche Streitigkeiten als Grund für ausländerfeindliche Parolen genommen, obwohl die Schüler selbst den Überblick verloren haben, wer welcher Nationalität angehört.
"Unterrichten und Erziehen" nennt Irmgard Odörfer als die Aufgabe ihrer Schule und muss dabei zugeben, dass sich das Erziehen immer mehr in den Vordergrund drängt. Die Kinder könnten ihre Streitigkeiten und Probleme häufig nicht mehr über die Sprache lösen, meint auch Renate Nitzl, Klassenlehrerin der 6a. So kann sie mit ihrem Unterricht oft erst loslegen, wenn alle Unstimmigkeiten gemeinsam geklärt sind. Eine "schulhausinterne Erziehungshilfe" für Gruppen und einzelne Kinder, bei der sich die 32jährige engagiert, soll zusätzlich für intensivere Betreuung sorgen.
Die Schule ist Auffangbecken für Konflikte, aber auch Zufluchtsort: Einige Jugendliche lungern den ganzen Tag in der Sperberstraße oder im Hummelsteiner Park herum, weil sie mit ihrer Zeit nichts anzufangen wissen. Zusätzliche Veranstaltungen am Nachmittag werden deshalb begeistert angenommen: Eine Theater- und eine Tanzgruppe, differenzierter Sportunterricht und Chor sind die Angebote, mit denen engagierte Lehrer neben den Pflichtfächern aufwarten.
Die Schülerzeitung namens "Sperber-Ei", die seit drei Jahren existiert, ist ebenfalls ein solches Projekt mit sozialpädagogischem Ansatz. Entstanden aus der Initiative einer siebten Klasse, tagt die Redaktion von etwa 20 Schülern im Alter von elf bis 15 Jahren inzwischen einmal pro Woche.
Wenn gerade keine journalistische Arbeit anfällt - die Zeitung erscheint nur zweimal im Jahr -, basteln und töpfern die Jung-Redakteure Weihnachtsgeschenke, oder essen die Kerstin Kröner mitgebracht haben.
Die beiden Lehrerinnen betreuen das "Sperber-Ei", opfern Nachmittagsstunden, Vorbereitungszeit und manchmal auch Geld, um eine persönliche Atmosphäre zu schaffen. Denn die kleinen Dinge machen den großen Unterschied: An den Fenstern der 8b kleben selbstgebastelte Sterne aus Goldpapier, Schneeflocken aus Watte und kleine Strohfiguren, an den Wänden hängen Adventskalenderpäckchen von Tannenzweigen. Dazwischen Plakate mit Fotos und Zeichnungen aus der Geschichte der Schule, die die Nachwuchs-Journalisten zum Jubiläum angefertigt haben.
Die Jungen und Mädchen sind stolz auf ihre Arbeit. Dabei macht es nur wenig Unterschied, ob sie mit einem Diktiergerät zum Interview mit dem Metzger von nebenan losmarschieren, die Zeitungen im Lehrerzimmer kopieren, heften und kleben, oder einfach nur beim Pizzaessen bei Kerstin Kröner zu Hause sitzen. Wichtig ist es, findet Pervin Bora (14), "selbst etwas zu machen, von dem die anderen Schüler auch sehen, was rauskommt".
Kopflastige Texte sind nicht die Sache der Jugendlichen: Die Schülerzeitung, die aufgrund von Inserenten-Mangel vom Elternbeirat kräftig unterstützt werden muss, besteht zum Großteil aus Fotos, Collagen und kleinen, meistens handgeschriebenen Artikeln. "Wenn sie was Praktisches machen dürfen, bringen sie sich halb um vor Eifer", weiß Renate Nitzl. Dafür müssen die Lehrerinnen oft Hilfestellung bei längeren Berichten leisten.
In der Zeitung können sich die Schüler selbst ausprobieren und Erfolgserlebnisse verbuchen. Bei den Arbeiten gibt es auch keine Disziplinprobleme: "Die Kinder kommen freiwillig und sind traurig, wenn die Stunden einmal ausfallen", sagt Kerstin Kröner. Der Kontakt zu den Lehrerinnen ist dabei sehr eng, die privaten Sorgen werden oft zum Gesprächsthema.
Das 80jährige Jubiläum ihrer Schule lässt die kleinen ''Sperber" dagegen kalt. Sie bekunden zwar Interesse an der Geschichte, zeigen sich von dem ehrwürdigen Gebäude jedoch eher unbeeindruckt: Sie wünschen sich einen Pausenhof mit mehr Spielmöglichkeiten, Schließfächer, um die Bücher darin abzustellen, und kritisieren die Schmierereien an den Wänden.
, Wichtiger als der Pomp von 1914 sind ihnen die Aktivitäten von heute. Und Konrektor Heinz Grünewald wünscht sich, dass der "nette alte Kasten", wie Renate Nitzl ihn nennt, genau deshalb den Jungen und Mädchen das Gefühl vermittelt: Das ist "unsere" Schule."
Von Tanja Beuthien